MUNICH
"DIE DURCHSCHNITTSFRAU IST KEINE GISELE BÜNDCHEN"
FRANZISKA GERLACH FOR SUEDDEUTSCHE ZEITUNG
Plötzlich ist da Bewegung an der Kleiderstange. Daniel Wingate hält eine Jacke in einem zarten Grün hoch, dieses Modell habe seine Mutter neulich auf einer Hochzeit getragen und sie habe großartig darin ausgesehen. Stehe einer 20-Jährigen aber genauso gut. Der Designer weiß, dass es heute nicht mehr reicht, einfach nur zu entwerfen. Die Leute wollen eine Geschichte hören, damit das Produkt mit Leben und Leidenschaft aufgeladen wird. Und in Wingate scheint die Vision von einer anderen Mode ganz gewaltig gearbeitet zu haben.
Die Lebensgeschichte von Daniel Wingate, 48 Jahre alt, ist in aller Kürze die Geschichte eines international etablierten Modedesigners, der sich ganz bewusst für München entscheidet, als er 2017 sein Label "Wingate Collection" gründet.
Obwohl es für ihn in den USA vielleicht sogar besser laufen würde. Doch es sollte eben unbedingt die bayerische Landeshauptstadt sein. Das hat nur bedingt mit der Nähe zu Italien zu tun, wo er seine Stoffe einkauft. Er habe hier einfach alles, sagt Wingate: "Mein Leben, meine Wohnung, meine Freunde."
Der Designer kommt aus Florida, nach dem Studium in New York geht er nach Deutschland, sein Lebenslauf listet die Namen so bekannter Modefirmen wie Hugo Boss, Marc O' Polo und Strenesse. Dann der Umzug nach München: 14 Jahre lang entwirft Wingate für das Aschheimer Luxuslabels Escada, zuletzt als Chefdesigner. Im Winter 2016 verlässt er das Unternehmen. Sieben CEOs, so erzählt er, habe er dort kommen und gehen sehen. Er hätte auch sagen können: Es war Zeit für etwas Neues. Nach Jahren der Festanstellung steht der Designer vor der Herausforderung, sich beruflich neu auszurichten. Doch in München gibt es nicht allzu viele Firmen, die zu ihm passen.
Mit über 40 entscheidet sich Wingate für die Selbstständigkeit im vollen Bewusstsein, dass dieser Weg kein leichter sein wird. Zumal in Deutschland, das ja nun nicht gerade im Ruf eines Modepioniers steht. Zugleich ist da die Idee von einer Mode, die nicht gleich an den Hüften spannt, wenn man tags zuvor bei der Erdbeersahnetorte zu oft zugelangt hat."Die Durchschnittsfrau ist keine Gisele Bündchen", sagt der Designer.
Er möchte Frauen mit Kurven und Selbstbewusstsein anziehen, die keine Scheu haben, sich im Café vor aller Augen die Lippen nachzuziehen, und zu Hause nicht gleich die Pumps gegen Birkenstocks eintauschen.
Barbara Schöneberger und Iris Berben, das sind so Typen, die ihn als Designer inspirieren. Plus-Size-Mode - das stellt Wingate klar - macht er aber nicht. Das Wort "inklusiv" gefällt ihm besser für seine Mode, die sich durch Raffinessen im Schnitt den Proportionen Frauen jeden Alters anpassen soll und nicht andersherum. Und da er das ganze Drama um die Konfektionsgrößen ohnehin überholt findet, das System vereinfachen wollte, arbeitet er einfach nur mit drei Größen, die er auf zwei Kollektionen pro Jahr beschränkt.Lieber weniger Teile im Kleiderschrank, dafür aber solche, die mehrere Saisons überdauern.
All diese Ideen für ein Label der gehobenen Sorte, das sich preislich aber noch deutlich unter der Maximilianstraße bewegt, hat er Anfang 2017 in ein paar Zeilen an das US-amerikanische Nobelkaufhaus Neiman Marcus geschickt, aus dem Bauch heraus, was sie denn davon hielten. Die Antwort: "Of course we are interested!" Also legte der Wahlmünchner los, schuf eine erste Kollektion, eine zweite, gerade arbeitet er an der dritten. Lange fließende Oberteile aus einer Kaschmir-Seide-Wollmischung und Tanktops aus Seidenstretch in Netzoptik sind so entstanden. Kleider, die sich unkompliziert überwerfen und in der Taille binden lassen - wer genauer hinschaut, den wird so manches an den Schnitt eines Kimonos erinnern. Wingate liebt die unaufgeregte Ästhetik Japans, schon mehrmals war er dort.Natürlich sind seine Entwürfe nach wie vor elegant, aber eben auf eine moderne Art, und weit davon entfernt, ins Tantige abzugleiten.
Bei seinen Trunk Shows durch die USA in diesem Frühjahr jedenfalls, also einer Tour mit kleinen Events, bei denen die Kunden den Designer treffen können, sei seine Mode gut angekommen. Diese Nähe zum Designer ist für die Deutschen eher ungewohnt, und abgesehen davon, möchte Wingate seine Mode auch nicht in jedem x-beliebigen Laden hängen sehen. Doch bis ein Label auf die Beine kommt, kann es schon mal dauern: Obwohl Wingate einen Namen hat in der Branche, ist es noch nicht so, dass ihm die Ware aus den Händen gerissen wird. Denn gerade bei den großen Häusern und Boutiquen sind die Verkaufsflächen manchmal bereits anderen Marken versprochen, oder man traut sich schlicht nicht, als Erster ein neues Label ins Sortiment aufzunehmen. "Wir warten", habe es etwa aus einem Münchner Modehaus geheißen. Auch wenn die Reaktionen an sich sehr positiv gewesen seien.
In solchen Momenten braucht es Geduld und den Glauben an sich selbst, das weiß jeder, der schon mal ein Unternehmen aufgebaut hat. Dann wiederum gibt es die Momente des Erfolges. Ende Juli zum Beispiel wird Wingate seine Mode bei einem Händler in Kampen auf Sylt vorstellen. Allzu traurig, dass sein erster Auftritt auf deutschem Boden im hohen Norden stattfindet, ist er nicht. Wingate lacht, er sagt: "Hoffentlich gibt es viele Münchner auf Sylt in dieser Zeit."